Dienstag, 1. Juli 2014

Wenn deutsche Jubelfans maulen

Da sind sie, die von mir erwarteten Kommentare zum gestrigen Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Algerien. "Gurkentruppe." - "Am besten alle auswechseln." - "Stromausfall wäre gut. Das kann man sich ja nicht länger anschauen." Nur drei von unzähligen Kommentaren, über die ich heute morgen zufällig bei Facebook gestolpert bin. Ich könnte Dutzende weitere mit ähnlichem Inhalt heranziehen. Negativ, abwertend. Kritisch.

Kritisch? Nein, halt, eben nicht kritisch. Denn es ist nicht der Ansatz qualifizierter und nachvollziehbarer Kritik vorhanden. Hier wird eine Mannschaft, von der man nicht das Erwartete bekommen hat, mit Schlagworten und Phrasen abgewertet. Deutschland hat gefälligst zu marschieren und jeden Gegner nach Belieben zu beherrschen und zu besiegen. Zu funktionieren wie eine Musicbox, in die man Geld wirft und von der man sich dann etwas wünschen darf.

Dieses Recht haben sie, finden sie, die Event-Fans, die das Spiel mit dem runden Leder pünktlich zu jeder Europa- oder Weltmeisterschaft wieder neu für sich entdecken. Dazwischen findet für sie kein Fußball statt. Aber jetzt wieder, zur WM 2014, haben sie sich das neue Trikot gekauft, dazu eine Deutschlandfahne und eine lustige schwarz-rot-gelbe Kopfbedeckung. Man muß ja schließlich demonstrieren, zu wem man hält. Und mit dem Zeigen der Mannschafts-Devotionalien zeigt man auch den eigenen Fußballsachverstand. Denkt man jedenfalls. Außerdem hat die Ausstattung Geld gekostet, da darf man natürlich Ansprüche anmelden. Und eine Erwartungshaltung an den Tag legen, die von den Spielern umzusetzen ist. Und wehe, wenn nicht. Dann werden aus den Jubel-Persern ... äh, Jubel-Deutschen ganz schnell Maulbrüder und Motzschwestern.

Nur begreifen viele Leute nicht, daß die deutsche Mannschaft nicht allein auf dem Platz steht. Da ist tatsächlich ein zweite, die ebenfalls gewinnen möchte. In den allerseltensten Fällen ist es eine, die nicht mit dem Ball umgehen kann. Oder die nicht mit Leidenschaft rennt, kämpft und dagegen hält. So wie es die Algerier gestern getan haben. Die haben für ihren Auftritt meinen höchsten Respekt, denn sie brachten die deutsche Mannschaft an den Rand einer Niederlage.

Aber eben nur an den Rand. Man mag den deutschen Spielern einiges vorwerfen: daß es ihnen nicht gelungen ist, ihr Kombinationsspiel aufzuziehen. Daß sie ihrer Favoritenrolle nicht gerecht wurden und zahlreiche Fehlpässe spielten. Daß die Spieleröffnung aus der Abwehr heraus viel zu selten gelang und man nicht in der Lage war, die nötigen Räume gegen die extrem gut und kompakt stehenden Algerier zu schaffen. Man kann sogar trefflich an Löws Aufstellung herumkritteln.

Aber auf keinen Fall kann man den Spielern vorwerfen, daß sie sich nicht reingehängt haben. Am Ende waren sie platt. Alle. Auf beiden Seiten. Das kann vielleicht nur jemand nachvollziehen, der selbst 120 Minuten dem Ball hinterher gerannt ist. Aber alles abzukanzeln ist natürlich einfacher. Am übelsten stoßen mir dann dumme Sprüche wie der auf, den ich gestern nach dem Spiel gehört habe: "Die werden schließlich dafür bezahlt." Ja, stimmt, aber manche Zeitgenossen werden offenbar nicht fürs Denken bezahlt.

Niemand sagt, daß alles toll war im gestrigen Spiel der Deutschen. Ich bin sicher, das wissen die Akteure selbst. Ebenso wie ihnen klar ist, daß sie gegen Frankreich anders auftreten müssen, wenn sie das Viertelfinale überstehen wollen. Doch keine Mannschaft der Welt kann jeden Tag ein rauschendes Ballfest abliefern. Das hat diese Weltmeisterschaft mehr als deutlich gezeigt. Die Niederlande haben sich nach ihrem Glanzauftritt gegen Spanien im Achtelfinale gegen Mexiko genauso schwer getan wie Frankreich gegen Nigeria oder gar Brasilien, das zum Weiterkommen ein Elfmeterschießen gegen Chile benötigte. Von England und Portugal oder gar den letzten beiden Weltmeistern Spanien und Italien ganz zu schweigen.

Kritik ist in Ordnung, aber bitte fundiert. Auf Phrasen, Beschimpfungen und despektierliche Äußerungen können die Spieler sicher liebend gern verzichten. Also, liebe Leute, mal schön die Kirche im Dorf lassen. Das gilt besonders für die lustige Hütchen tragenden Eventies, denen völlig unbekannt ist, daß es auch zwischen den Großturnieren Fußballveranstaltungen gibt.

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